Monatsarchiv für January 2005

Steuerreform aus einem Guß

Monday, den 10. January 2005

Von Klaus Peter Krause, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. Januar 2005

Steuerreform aus einem Guß

Was Wirtschaft, Bürger und Fiskus von einer Erneuerung gewinnen würden

Joachim Mitschke: Erneuerung des deutschen Einkommensteuerrechts. Gesetzestextentwurf und Begründung. Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln 2004, 186 Seiten, 34,80 Euro.

Der Befund liegt seit langem offen zutage: Das deutsche Einkommensteuerrecht ist unsystematisch, in sich widersprüchlich, ungerecht, viel zu kompliziert, unüberschaubar, unverständlich und viel zu aufwendig, alles in allem: geradezu chaotisch. Bürger und Fachleute eint über den Befund seltene Einmütigkeit. Ebenso über die Folgerung daraus: Eine grundlegende Neuordnung muß her. Aber was für eine? Hier verglimmt die Einmütigkeit. Unterschiedliches tragen dazu auch Fachleute wie Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler sowie Steuerjuristen vor, darunter so angesehene Namen wie Klaus Tipke, Manfred Rose, Joachim Lang, Paul Kirchhof, der Sachverständigenrat. Aber ein anderer angesehener Name gehört ebenfalls dazu, jener des Wirtschaftswissenschaftlers Joachim Mitschke von der Universität Frankfurt. Mitschke erklärt sein Konzept nun in einem Buch.

Das Konzept ist an folgenden Leitlinien ausgerichtet: das Einkommensteuerrecht gilt es von der Überfrachtung mit politischen Lenkungswünschen zu befreien, seine beschäftigungs- und investitionsfeindliche Wirkung zu beseitigen, die Gleichmäßigkeit der Besteuerung herzustellen (bisher werden nach Mitschke 500 bis 700 Milliarden Euro Einkünfte nicht erfaßt), Familien mit Kindern nicht zu benachteiligen, sondern zu fördern, die Unternehmen rechtsformneutral zu besteuern, die Einkommensbesteuerung einfach, durchschaubar und praktikabel zu machen, die Steuersätze zu senken und auch damit die fiskalische Ergiebigkeit zu erhöhen.

Bei seinem Konzept haben Mitschke vor allem seine langjährigen praktischen Erfahrungen geleitet, erst in der bayrischen Finanzverwaltung, dann im Steuer- und Rechnungswesen der saarländischen Stahlindustrie. Seine Grundidee ist, investiertes und reinvestiertes Einkommen so lange unbesteuert zu lassen, bis es verbraucht, verschenkt oder vererbt wird. Auf diese Weise werden zu Lebzeiten eines Bürgers nur seine privat verbrauchten Teile des Einkommens besteuert. Erst bei seinem Tod unterliegt dann auch der bis dahin nicht versteuerte Einkommensrest der Besteuerung. Dies ist die Idee der nachgelagerten Besteuerung und Konsumbesteuerung. Sie ist nicht neu - aber Mitschke hat sie fundiert ausgearbeitet. Sie beruht auf der leicht nachvollziehbaren Erkenntnis, daß jedermann sein Einkommen nur für den Konsum oder für eine Investition ausgeben kann. Wer mit seinem Geld Betriebe errichtet, weiterführt oder vergrößert, wer Produkte herstellt, Dienstleistungen anbietet, Investitionen zu bezahlen hilft, seine Ausbildung finanziert, seine Altersversorgung aufbaut und mit alldem auch Arbeitsplätze schafft oder zu erhalten hilft, der bleibt so lange steuerfrei, bis er das Geld aus diesen Verwendungen zurückholt und es konsumiert. Das gleiche gilt für alle Unternehmen: Sie können ihren Gewinn ausschütten oder wieder investieren. Schütten sie ihn aus, ist er zu versteuern, aber durch die Empfänger, nicht durch die Unternehmen. Diese müssen die Steuer an den Fiskus lediglich abführen; nur natürliche Personen haben Einkommensteuer zu zahlen.

Die Vorteile sind zahlreich. Unternehmen benötigen nur noch eine Handelsbilanz. Das gesamte Bilanzsteuerrecht entfällt, ebenso das Körperschaftsteuerrecht. Steuerliche Erwägungen spielen bei unternehmerischen Entscheidungen keine Rolle mehr. Alle Rechtsformen, alle Kapitalanlagen, alle Vorsorgeformen werden steuerlich gleichbehandelt. Der Anreiz zu Steuersparmodellen ist dahin. Alle Bestandteile der sozialstaatlichen Umverteilung lassen sich in diese ganz andere Einkommensbesteuerung integrieren und viel einfacher handhaben. Durch die eingebaute Vereinfachung entbehrlich werdender Vergünstigungen hat die neue Steuer eine breitere Bemessungsgrundlage als heute und kann (ohne Einbußen für den Fiskus) mit deutlich niedrigeren Steuersätzen auskommen. Für die Haushaltsneutralität genügt ein Höchstsatz von 30 Prozent. Das Wirtschaftswachstum und das Schaffen zusätzlicher Arbeitsplätze werden steuerlich nicht mehr behindert, führen zu Mehreinkommen und damit für den Fiskus tendenziell sogar zu Mehreinnahmen. Einzelheiten dazu und zu mehr sind im Buch nachzulesen.

Mitschke legt in dem Buch gleich einen ausformulierten Gesetzestext mit 45 Paragraphen und ausführlichen Kommentaren vor. So weit hat es noch keiner der anderen Reformbetreiber gebracht. Der Gesetzgeber braucht nur zuzugreifen: Hier ist sie, die Reform aus einem Guß. Übergangsschwierigkeiten bestehen im Entwurf noch in der Administrierbarkeit von grenzüberschreitenden Vorgängen, beispielsweise bei Auslandsinvestitionen und Wohnsitzverlagerungen. Sie wären, wie es im Vorwort heißt, durch zwischenstaatliche Vereinbarungen zu meistern.